Alleine schon der Anflug auf die Insel Kvalöya sei spektakulär, sagt Kurt Hostettler. «Wenn man durch das Flugzeugfenster nach unten schaut, liegt das Nordmeer da wie ein grosser schwarzer Fleck, eingerahmt von gleissendem Weiss. Ein wunderschöner Anblick.» Im März wird er zum dritten Mal eine Gruppe von Schneeschuhwanderern auf eine Erlebnistour in Nordnorwegen führen. Wenn die Tage kürzer werden und die Temperaturen sinken, ändert für den gelernten Schreiner der Arbeitsalltag. In seinem Geschäft für Alu-Fensterläden ist es dann ruhiger und Hostettler oft in den Bergen unterwegs. Er gibt Skikurse und führt Schneeschuhwanderer durch das Berner Oberland. «Im Herzen bin ich ein Bergler», sagt der 50-Jährige aus Wichtrach BE. Im Aaretal ist er zu Hause, aber auch die norwegische Bergwelt hat es ihm angetan, von Skandinavien ist er ohnehin seit Langem fasziniert. «Norwegen hat mir den Ärmel reingezogen», sagt er. Die Einsamkeit, die zwischen steilen Felsen tief eingeschnittenen Fjorde, der unberührte Schnee abseits der Skiwanderwege und der Geruch von Meer in der Nase. «Wo gibt es schon eine Schneeschuhtour, die auf Meereshöhe startet und entlang der Küste verläuft», sagt er. Tromsö liegt am Atlantik und gehört zu den wenigen Orten auf der Welt, wo Schneesportler freie Sicht haben auf den Ozean und bunte Fischerdörfer.
Von ihrer Unterkunft in Tromsö können Hostettler und die Schneeschuhwanderer die Insel Kvalöya in alle Himmelsrichtungen erkunden – und auch das Festland ist dank einer Tunnelverbindung nicht weit entfernt.Kurt Bühler, ein ehemaliger Schreinerkollege und guter Freund Hostettlers (Persönlich SZ 45/2018), wird die Gruppe mit seinen Huskys und einem Hundeschlitten begleiten und aus dem Leben eines Auslandschweizers erzählen – von Fettnäpfchen und Stolpersteinen, den Eigenheiten der norwegischen Kultur und davon, was es bedeutet, sich ein fremdes Land zur Heimat zu machen. Abends sorgen die Nordlichter mit ihren bewegten Bildern für leises Spektakel. «Man möchte die ganze Zeit nur schauen, weil es so schön ist, wenn sie wie Tropfen vom Himmel fallen», sagt Hostettler. Zumindest so lange, wie es die Kälte und die Müdigkeit nach den bis zu sechsstündigen Touren zulassen. «Wenn wir auf Meereshöhe starten und dann 700 Höhenmeter zurücklegen, braucht das schon einen langen Schnauf», erklärt der Tourenleiter. Trotzdem stünden auf der Erlebnistour Freude und Genuss im Vordergrund, nicht die Leistung. «Wir setzen uns auch mal hin, schauen, saugen die Eindrücke auf und geniessen.» Ruhe und Entspannung gewinnen für Hostettler, der einst davon träumte, als Skiprofi Weltcuprennen zu fahren, auch privat an Wichtigkeit. Das Schneeschuh-laufen ist ein Entschleuniger erster Güte: Die Landschaft zieht langsam an einem vorüber, es knirscht unter den Füssen, der Zivilisationslärm ist weit weg. Zu hören ist nur der eigene Atem, der den Sauerstoff in die Lungen presst, während die Schneeschuhe die weiss getünchte Landschaft durchschreiten.
«In den Weiten der norwegischen Natur kreuzen Elche häufiger meinen Weg als Menschen», sagt Hostettler und lächelt. Es scheint fast so, als ob er in Gedanken bereits im Flugzeug nach Tromsö sitzt.
«In den Weiten der norwegischen Natur kreuzen Elche häufiger meinen Weg als Menschen.»