Dieser Tage ist viel zu lesen, zu hören und zu sehen über die Ideen, das Wirken und die Folgen der Bauhaus-Schule. Die mediale Präsenz ist dem 100-Jahr-Jubiläum der Gründung von 1919 geschuldet. Unter den reichhaltigen Informationen und Interpretationen zum Bauhaus findet sich auch mancher Unfug. So wird das Bauhaus oft als globale Marke von heutigen Akteuren interpretiert und verklärt. Auffällig dabei ist, dass heute im Grunde jeder das Bauhaus mag. Die schlichten Formen in Architektur und Interieur sind längst Mainstream. Die erfolgreiche Vermarktung der Stahlrohrmöbel, einer Wagenfeld-Lampe, der Türdrücker und anderer populärer Entwürfe der Bauhaus-Akteure haben wesentlich zu diesem Umstand beigetragen.
Handwerkliche Produktion
Kritiker fragen zurecht, wie eine so radikale und umstrittene Lehre, die eigentlich bis heute polarisieren müsste, nun einfach völlig unkritisch hip sein kann. Denn nach all der Opulenz der Jahrzehnte zuvor, einschliesslich der Jugendstilbewegung, stand das Bauhaus für den umfassenden Umschwung, der auch heftigst kritisiert wurde. Die Industrialisierung war damals fortgeschritten, doch das galt weniger für das Bauen und auch noch nicht umfänglich für die Möbelproduktion. Die Möbel und Gegenstände des täglichen Gebrauchs blieben deshalb hochpreisig. Sie wurden handwerklich produziert.
Bauhaus-Gründer Walter Gropius wollte dies ändern und konnte es doch nie wirklich umsetzen, auch wenn die Bauten für damalige Verhältnisse in erstaunlich kurzer Zeit realisiert wurden, weil Gropius die Abläufe auf der Baustelle streng organisierte. Den Transfer zur industriellen Produktion schaffte das Bauhaus jedoch nie wirklich. Man muss sich vergegenwärtigen, dass es noch zwei Jahrzehnte dauern sollte, bis die Spanplatte erfunden war.
«Das Bauhaus» gibt es nicht
Das Bauhaus war immer zu allererst eine Ausbildungsstätte für angehende Gestalter von Lebensräumen. Man unternahm erstmals den Versuch, alle Disziplinen unter dem Dach der Architektur zu vereinen. Kunst und Handwerk beschäftigten sich gleichermassen mit Farbe, Form und Funktion für eine Gesellschaft der Zukunft. Zur Marke wurde das Bauhaus erst, als die Schule längst geschlossen war.
Das Bauhaus hatte drei äusserst unterschiedliche Direktoren während des nur 14 Jahre dauernden Bestehens der Ausbildungsstätte: den Gründungsübervater Walter Gropius, der letztlich den Grundstein für die Markenbildung legte, den weitgehend unbekannten Schweizer Architekten Hannes Meyer und am Ende den Stararchitekten Ludwig Mies van der Rohe. Würde man die drei heute in eine Diskussionsrunde setzen, die Fetzen würden fliegen, so unterschiedlich waren ihre Überzeugungen, Analyse-ergebnisse und letztlich ihre Arbeit. Schon deshalb ist «das Bauhaus» eine Blase. Die drei wirkten ganz unterschiedlich und prägten damit die Absolventen, die später in die ganze Welt hinausgingen.
Lösungen für die Aufgaben der Zeit
Die Verklärung bringt aber noch ganz andere Blüten hervor. So mancher vertritt die Meinung, dass der globale Möbelkonzern Ikea letztlich das umgesetzt hat, was das Bauhaus wollte, aber nie wirklich realisieren konnte. Schlichtes, bezahlbares und gutes Design. Das ist in mindestens zweifacher Hinsicht Unsinn.
Erstens hatten die Bauhäusler einen Qualitätsanspruch und wollten das Überflüssige weglassen, das ohnehin nur einer Elite zugänglich war. Zweitens, und wesentlich entscheidender, ist der Grundsatz, nach Lösungen zu suchen für die Aufgaben der Zeit, heute und morgen. Ikea aber ist Teil des Problems unserer Konsum- und Wegwerfzeit und kann deshalb nur schwerlich gleichzeitig die Lösung sein.
Die Bauhäusler haben versucht, Antworten auf die drängenden Fragen der Zeit für eine Gesellschaft von morgen zu finden. Die Akteure der 14 Jahre dauernden, neuen Schulform hatten nie ein stilbildendes Dogma, Ikea hat wenigstens die Kostenminimierung als Prinzip. Die Stahlrohrmöbel aus der Bauhaus-Epoche dagegen halten «ewig». Noch heute sind mancherorts die Originale in Gebrauch, so auch an der Schule in Dessau. Für die Bespannung wurde damals das sogenannte Eisengarn verwendet. Ein äusserst strapazierfähiges Gewebe, an der hauseigenen Weberei für die Möbel von Marcel Breuer weiterentwickelt, heute aber nur noch für Original-Replikationen eingesetzt. Das Gewebe wurde indes nicht am Bauhaus erfunden, sondern bei der damaligen Wuppertaler Textilindustrie produziert. Die Marketingpräsenz des Bauhauses jedoch liess diesen Umstand in Vergessenheit geraten. So wird sogar das Eisengarn oft dem Bauhaus zugeschrieben.
Max Bill und die Wiederbelebung
Wer ernsthaft nach dem Erbe der Bauhaus-Schule fahndet, der landet schliesslich an der Hochschule für Gestaltung in Ulm, mit- begründet vom Bauhaus-Meisterschüler und ersten Rektor der Ulmer Schule, Max Bill. Dort hat man die Industriekooperation von Beginn an gesucht und gefunden. Vielleicht auch, weil Bill seine Lehren aus dem Bauhaus gezogen hat.
In den 1960er-Jahren war die Kooperation intensiv mit dem Elektrogerätehersteller Braun verknüpft. Neben Hi-Fi-Anlagen, bei denen auch der Bauhaus-Absolvent Wilhelm Wagenfeld mitwirkte, wurden zusammen mit dem Braun-Chefdesigner Dieter Rams auch Taschenrechner oder Küchengeräte gestaltet.
Sichtbare Spuren im täglichen Leben
Wer diese Linie weiter verfolgt, landet schliesslich bei Produkten von Apple wie I-Pod und I-Phone. Der Apple-Chefdesigner Jonathan Ive hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass die Apple-Produkte vom Braun-Design wie etwa dem Taschenrechner T3 inspiriert sind. Wenn man so will, haben wir also täglich Bauhaus-Design in der Hand und am Ohr. Da sowohl Gropius als auch van der Rohe nach ihrer Bauhaus-Zeit in den USA wirkten und bauten, hat das Bauhaus dort zudem deutlich sichtbare, architektonische Spuren hinterlassen.
Dies alles zeigt, wie schwierig es ist, die Gegenstände unserer Zeit in Bezug zum Wirken des Bauhauses zu setzen. Während der kurzen Zeit der Bauhaus-Schule haben insgesamt etwa 1200 Absolventen ihre Ausbildung erhalten. Darunter auch rund 40 Studierende aus der Schweiz. Damit stellt die Schweiz die grösste Gruppe ausländischer Absolventen. Sie alle besuchten den Vorkurs, der den Lehransatz des Bauhauses einzigartig machte. Dabei sollten die Schüler im ersten Jahr alles ausprobieren, mit Verfahren und Materialien frei experimentieren, bevor sie sich für eine Richtung und damit eine Werkstätte entschieden.
Verantwortlich für das Konzept zeichnete wiederum ein Schweizer. Der Künstler Johannes Itten war «Lehrender Meister» der ersten Stunde am Bauhaus. Noch heute vielerorts etabliert, wie etwa an der Zürcher Hochschule der Künste, ist das Prinzip des Vorkurses ein wertvolles und zugleich echtes Erbe der Bauhäusler.
Spuren einer grossen Bewegung
Im Jubiläumsjahr des Bauhauses gibt es zahlreiche Veranstaltungen, mit denen man sich auf Spurensuche begeben kann. Man sollte sich aber nicht verunsichern lassen. Das Gebäude des Museums für Gestaltung in Zürich etwa, das in den Medien durchaus als Besuchertipp im Jubiläumsjahr gehandelt wird, ist kein Bauhaus-Werk, sondern der Schweizer Avantgarde der damaligen Zeit zuzurechnen. Sie ist eng verwandt mit dem Bauhaus, doch waren die Akteure nie so radikal wie das Bauhaus. Aber gerade deshalb lohnt sich die Auseinandersetzung mit einer grossen Bewegung in einer äusserst bewegten Zeit, deren Speerspitze das Bauhaus war.