Praktika mit Perspektive

Woche: 
51-52
Jahr: 
2018
Rubrik: 
Bildung

Weiterbildung.  Zwei angehende Holztechniker haben sich für ungewöhnliche Praktika während ihres Studiums entschieden. Im Roboterlabor der ETH Zürich und bei einer Schreinerei in den USA lernen beide Praktikanten neue Arbeitswelten kennen.

Neue Bearbeitungstechniken, Grundlagen der Betriebswissenschaft und systematisches Arbeiten lernen Studierende während ihrer Weiterbildung. Das neu erworbene Wissen erstmals einsetzen und vertiefen können sie während eines Praktikums. Sowohl an der Höheren Fachschule für Technik und Gestaltung Zug (HFTG) als auch an der Höheren Fachschule Holz Biel (BFH) gehören mehrmonatige Praktika gegen Ende des Studiums dazu. «Unsere Studierenden machen eine anspruchsvolle Weiterbildung, um danach in einer neuen Funktion zu arbeiten: Sie übernehmen eine Führungsfunktion oder streben eine Fachkarriere an. Das Praktikum soll sie auf ihre zukünftige Position vorbereiten», erklärt Christoph Rellstab, Leiter der Höheren Fachschule Holz Biel.

So individuell die Studierenden sind, so sind es auch die möglichen Praktikumsstellen. Viele nutzen die Chance, um ihre Sprachkenntnisse zu vertiefen oder sich in einem Fachbereich weiterzuentwickeln. Zum Praktikumseinsatz gehört jeweils auch eine Abschlussarbeit. Die Studierenden sollen sich dabei mit einem aktuellen und praxisbezogenen Thema innerhalb des Betriebs beschäftigen, denn «davon profitieren dann auch die Arbeitgeber», sagt Christoph Rellstab.

Science-Fiction auf dem Hönggerberg

Die beiden Schreiner und Studenten Lukas Kohler sowie Andreas Rhyner haben sich zwei ungewöhnliche Praktikumsorte ausgesucht: Kohler erfüllte sich den Wunsch, in den USA zu arbeiten, und fand eine Stelle bei einer Schreinerei in Montana. Rhyner entdeckt als Techniker im Roboterlabor der ETH Zürich die Zukunft des Bauens. Englisch ist für beide die Umgangssprache.

Andreas Rhyner macht sein Praktikum, wo die Zukunft des Bauens entsteht. Zwischen den zahlreichen 3D-Druckern, vollautomatischen Robotern und Strickmaschinen, auf denen dreidimensionale Textilien entstehen, wähnt man sich inmitten von Science-Fiction. Science stimmt auch: Das Robotic Fabrication Laboratory (RFL) ist eine Forschungsplattform für die roboterbasierte Fabrikation der ETH Zürich. In der hohen Halle auf dem Hönggerberg simulieren Doktoranden robotergestützte Bauprozesse und Forscher führen baukonstruktive Experimente durch.

Mitten in der Halle steht eines der Experimente: eine komplexe Konstruktion aus Holz, vollautomatisch gefräst, montiert und gedübelt von einem Roboter. Eine von Rhyners Aufgaben während seines Praktikums war, eine solche virtuelle Roboterzelle zur Beschickung einer CNC-Maschine zu planen und zu programmieren.

Internationales Arbeitsumfeld

Andreas Rhyner hat seine Schreinerlehre bei einem Küchenbauer gemacht. Nach der Lehre bediente er als Maschinist die CNC-Anlage und schrieb bereits dann Bearbeitungsprogramme für die Anlage.

Um seine Programmierkenntnisse zu vertiefen, begann der 25-Jährige vor zwei Jahren das Studium zum Techniker HF Holztechnik an der HFTG in Zug. Das Praktikum an der ETH Zürich verdankt er einem engagierten Dozenten, der ihm die Stelle vermittelte. Seit vier Monaten gehört er nun dem dreiköpfigen Team der Techniker an. Sie sorgen dafür, dass die Werkzeuge und Materialien bereitstehen, die Roboter gerüstet sind und die Forschungsprojekte reibungslos ablaufen können.

Doktoranden aus aller Welt – Neuseeland, Estland, Mexiko – nutzen das Labor und arbeiten hier an ihren Forschungsarbeiten. Die Umgangssprache untereinander ist Englisch. So konnte der Schreiner aus Mühlau AG mitten in Zürich auch gleich seine Englischkenntnisse auffrischen. Doch in erster Linie lernt er in seinem Praktikum die universelle Programmiersprache. «Vorher konnte ich zwar die Maschinen bedienen, aber was dahintersteckt, habe ich erst jetzt verstanden», sagt Rhyner. «Grafisches Scripting», führt er als Beispiel an, «brauche man, um die Roboter anzusteuern.»

Mit dieser Technologie lassen sich Objekte einfacher parametrisieren. Das Besondere an einem parametrischen Objekt sei, dass man einen Faktor verändern könne – zum Beispiel den Durchmesser eines Holzteils – und sich dann die gesamte Konstruk- tion entsprechend anpasst. In Schreinereibetrieben werden parametrische Methoden bereits angewendet – beispielsweise bei der Plattenaufteilung oder für parametrische Schränke. Rhyner ist überzeugt, dass solche Anwendungen zukünftig noch wichtiger werden.

Den Schreiner braucht es doch noch

Avor werden war Rhyners Berufsziel, bevor er das Praktikum begann. «Aber jetzt haben sich ganz neue Möglichkeiten ergeben», berichtet er. Wohin es nach dem Studium geht, ist für ihn noch offen. «Vielleicht ins Ausland?», überlegt er. Ein gutes Netzwerk mit Menschen aus aller Welt hat er jedenfalls während des Praktikums aufbauen können. Der junge Schreiner wird im Roboterlabor geschätzt: Zuvorkommend hält er einer Doktorandin die Türen auf und legt spontan Hand an, wo jemand Hilfe mit dem Hubwagen braucht. Morgen ist sein letzter Tag im Labor. Zurück in den reglementierten Ablauf, das wird ihm nach der Zeit am ETH Campus schwerfallen. Hier konnte er sich die Arbeitszeiten flexibel aufteilen und sehr selbstständig arbeiten.

Als er von seinem Vorgesetzten den Auftrag bekam, ein Gehäuse für einen Kompressor zu entwickeln, wurde es ihm überlassen, wie er das angehen wolle. Drei verschiedene Ideen hatte Rhyner ausgearbeitet. Die geeignetste Konstruktion hat er mit Maschinenbauprofilen umgesetzt. Dass das Gehäuse seine Funktion erfüllt, zeigte sich an der Eröffnung der Ausstellung «Hello, Robot» in Winterthur. Einzig aus Schotter und Schnur erstellte dort ein Bauroboter einen Pavillon. Der Kompressor lieferte die Druckluft, womit der Roboter den Schotter zusammenpresste.

Trotz Rhyners Faszination für Roboter und Algorithmen ist er überzeugt, dass das handwerkliche Können unentbehrlich bleibe. «Denn», fügt er an, «wenn man zuschaut, wie manch ein Akademiker versucht, eine Schraube einzudrehen, weiss man, wieso es doch noch den Schreiner braucht.»

Lukas Kohler in Übersee

Bereits am Infotag der Höheren Fachschule Holz Biel war für Lukas Kohler klar: «Das Praktikum mache ich in den USA.» Heute ist Kohler dort, wo er schon immer hin wollte. Während es bei uns nun eindunkelt, geht bei Kohler gerade erst die Sonne auf. Per Skype berichtet der Student aus seinem aktuellen Wohnort Bozeman im Bundesstaat Montana. Er wollte seine Englischkenntnisse verbessern und das Leben und Arbeiten in Übersee kennenlernen.

Nach eineinhalb Jahren Studium zum dipl. Techniker HF Holztechnik absolviert Kohler sein Praktikum in einer Schreinerei nahe der kanadischen Grenze. Seit März 2018 arbeitet er in der Schreinerei Brandner Design. Verwandte, die in der Nähe wohnen, hatten ihn bei der Arbeits- und Wohnungssuche unterstützt. Auf ein Dutzend Bewerbungen, die Kohler an die lokalen Betriebe geschickt hatte, erhielt er eine positive Antwort. Dem Firmeninhaber sei die schweizerische Ausbildung bekannt gewesen und deshalb habe er gewusst, dass er einen gut ausgebildeten Arbeiter erwarten könne. Und tatsächlich bringt Kohler einiges an Wissen mit.

Der 26-jährige Basler hatte eine vierjährige Lehre zum Möbelschreiner abgeschlossen und bereits Praktikumserfahrung bei einem Fensterbauer gesammelt. Als Kind verbrachte er die Sommerferien im elterlichen Fensterbetrieb und packte dort mit an. «Mit Holz arbeiten wollte ich schon von klein an», erzählt Kohler.

Youtube statt Schreinerlehre

Anders als im dualen Bildungssystem der Schweiz gibt es in den USA keine vergleichbare Ausbildung für handwerkliche Berufe. Seine amerikanischen Kollegen seien erstaunt gewesen, als sie von seiner langjährigen Lehre erfahren haben. Hier lernen die Schreiner «by doing», so Kohler. Häufig schauen sie auf Youtube-Videos, wie die Europäer eine Bearbeitung lösen, und kopieren dies dann. Kohler wird seine Diplomarbeit über die unterschiedlichen Arbeitsweisen im amerikanischen Betrieb mit den in den Schweiz erlernten Methoden machen. Als Basis für diese Analyse wird er die Herstellung eines Schranks vergleichen. Die Resultate der Diplomarbeit soll Brandner Design ermöglichen, eigene Arbeitsabläufe zu überprüfen und bei Bedarf Verbesserungen vorzunehmen.

Eine Optimierung konnte Kohler bereits einbringen. Bis anhin belegte man in der Werkstatt Teile von Hand mit Furnier. Bis der Leim getrocknet war, dauerte es lange und oft lösten sich die Furniere wieder. Kohler zeigte seinem Vorgesetzten, wie mit einer Furnierpresse schneller und zuverlässiger furniert werden kann. Dies überzeugte ihn: «Die Presse wird jetzt in der Werkstatt installiert», sagt der Schweizer. So lassen sich auch Holz-Metall-Verbindungen, die Brandner Design oft ausführt, innert einer Stunde weiterbearbeiten, statt dass sie über Nacht trocknen müssen.

Anstellung ohne Kündigungsschutz

Kohlers Arbeitgeber hat sich auf Möbel nach Kundenwunsch spezialisiert. Unikate, bei denen oft Holz mit Metallelementen kombiniert wird. «Die Kundschaft aus der Umgebung ist reich und der Preis kein Thema», berichtet Kohler. Als kürzlich ein gewöhnlicher Kleiderschrank mit Buchenfurnier für 20 000 Dollar verkauft wurde, hat er doch gestaunt.

Solch spendable Kunden verdankt der Betrieb dem nahegelegenen Yellowstone Club. Der private Club umfasst eine weitläufige Wohnanlage, diverse Freizeitanlagen und knapp die Hälfte des beliebten Skigebiets Big Sky. Die zehn Quadratkilometer grosse Skianlage ist prominenten Gästen wie Bill Gates, Gisele Bündchen und Justin Timberlake vorbehalten.

Weniger glanzvoll sind die Arbeitsbedingungen der Schreiner. Die Bezahlung erfolgt im Stundenlohn. Wer krank wird und fehlt, erhält auch keinen Lohn. Kohler bekommt als Praktikant 16 Dollar pro Stunde ausbezahlt – bei Brandner Design sind die Löhne vergleichsweise hoch. 9 Dollar wäre der Mindestansatz. Zehn Stunden arbeitet er täglich und dass er vom Chef zwei Wochen frei bekam, sei nicht selbstverständlich. Am meisten wundert sich der Schweizer Schreiner aber, wenn Arbeitskollegen von einem auf den nächsten Tag nicht mehr bei der Arbeit erscheinen. Wem ein Fehler unterläuft oder wer dem Arbeitgeber nicht mehr passt, «der müsse am nächsten Tag nicht mehr kommen», erzählt Kohler.

Einblick in eine andere Arbeitskultur

Das Praktikum hat sich für Kohler gelohnt. Zwar hat er beruflich wenig dazugelernt, sein Englisch konnte er aber aufbessern und er hat einen Einblick in eine fremde Arbeitskultur erhalten. Für ihn ist klar: Das Praktikum im Ausland zu machen, ist eine Chance, die sich später so leicht nicht mehr ergibt: «Wenn nicht jetzt, wann dann?»

Noch zwei Monate, dann kehrt Kohler zurück nach Münchenstein BL. Sein Studium schliesst er im Sommer 2019 ab und dann will er im Fensterbetrieb seines Vaters einsteigen. Auch wenn Brandner Design angeboten habe, ihn über die Praktikumszeit hinaus zu beschäftigen, ist ihm klar: Arbeiten will er in der Schweiz. Zum Skifahren kommt er aber gern wieder zurück nach Bozeman, Montana.

www.ita.arch.ethz.chwww.brandnerdesign.comwww.hftg.chwww.ahb.bfh.ch/hfholzbiel

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