Neues Hobby, altes Brauchtum

Woche: 
51-52
Jahr: 
2018
Rubrik: 
Persönlich

Das Outing kam am 28. September 2018. An jenem Freitag, als der neue Standort von Kuratle & Jaecker in Märstetten TG eingeweiht wurde. Plötzlich war da der Klang von Treicheln zu hören, gleichmässig, archaisch und eindringlich, lauter und lauter, und schon betrat die Gruppe mit den grünen «Chutteli», roten Halstüechli und schwarzen Zipfelmützen die grosse Halle. Rhythmisch brachten sie die bis zu 23 Kilo schweren Treicheln zum Klingen. Das Publikum schaute auf die «Trychler», und plötzlich stutzte der eine oder andere. War das nicht ...? Ja, er war es, eindeutig. Zwar ohne Brille und ohne Jacket, aber zweifelsfrei handelte es sich um ihren Kollegen, den Key-Account-Manager Stefan Lanter. Der 52-Jährige schmunzelt, als er die Geschichte – mit Brille, ohne Chäppli – im Besprechungsraum von Kuratle & Jaecker erzählt. «Meine Kollegen waren schon ziemlich erstaunt», sagt er, «das hätte mir wohl keiner zugetraut.» Nicht, dass sie ihn für unmusikalisch gehalten hätten. «Nein, sie konnten sich einfach nicht vorstellen, dass ich noch anderes im Kopf habe als den Job und dass mein Hobby ausgerechnet mit Brauchtum zu tun hat.» Darüber staunt der Ostschweizer manchmal selber. Denn das Brauchtum wurde ihm nicht etwa in die Wiege gelegt.

Da gab es weit und breit keine «Trychler» in seiner Familie und auch keine Jodler. Jodeln nämlich ist zu seinem zweiten Hobby geworden: «Ein idealer Ausgleich», wie er findet. «Beim Jodeln musst du dich konzentrieren. Da kannst du nicht gleichzeitig übers Geschäft nachdenken. Wir singen jeweils zu zweit eine Begleitstimme, da kommt es auf jeden an.»

In seiner Jugendzeit in St. Gallen hatte Lanter zwar einige Bauernsöhne in seinem Umfeld, denen half er schon mal beim Heuen, aber Jodelkonzerte oder «Trychler»-Auftritte gehörten nicht zu seiner Freizeit. «Eher die ‹Mölltaler›», erinnert er sich mit einem Grinsen, «sofern ich mir als ‹Stift› ein Konzert leisten konnte.» Mit der «Stifti» spricht er seine Schreinerlehre an. In der Oberstufe hatte er die Nase voll von der Schule, mochte aber das Werken mit Holz. Somit war für die Berufsberaterin klar: Dieser junge Mann soll Schreiner werden. Und er wurde Schreiner. Aber nachdem der einst so Schulmüde den Lehrabschluss in der Tasche hatte, zog es ihn wieder in Richtung Schulbank und damit in Richtung Büro und Verkauf. Von Holz ist er bis heute umgeben, allerdings kümmert er sich nun hauptsächlich um Kunden. Ähnlich unaufgeregt wie zum Beruf kam er zu seinen Hobbys. Als die Kirchgemeinde Biessenhofen TG die Kapelle renovierte, überlegte sich der damalige Dorfvereinspräsident Lanter, wie man diese mit Leben füllen könnte. Er organisierte eine Jodlermesse mit dem Jodelclub Klein Rigi, an dem auch die «Trychler» einen Auftritt hatten, und war angetan. Von den Stimmen, von den Klängen.

Beide Formationen waren auf der Suche nach neuen Mitgliedern. Lanter war auf der Suche nach einem Ausgleich und fand ihn in der Geselligkeit des «Trychle» und in der Konzentration des Jodelns.

Beim «Trychle» sind alle aufeinander angewiesen, damit es gut klingt. Die erforderliche Präzision mag Lanter genauso wie den Überraschungsmoment, den jeder Auftritt mit sich bringt – ob mit oder ohne Outing.

«Sie konnten sich einfach nicht vorstellen, dass ich noch anderes im Kopf habe als den Job.»

hid

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